Die Ausstellung von x.art im Näijerehuus war ein fulminanter Abschluss eines ungewöhnlichen Veranstaltungsjahres in der bekannten Kulturstätte. Thomas Zahnd, Markus Dominkovits, Natascha Ortega, Joschi Schacher und Aschi Glanzmann zeigten vom 20. November bis 13. Dezember 2020 ihre neusten Werke.

Thomas, Natascha, Aschi und Joschi im NäijereHuus.

Bildergalerie

Bericht in der Solothurner Zeitung vom 23.11.2020.



Vernissage Freitag, 20. November 2020 | Ansprache Georg Schmid

Vernissage Freitag, 20. November 2020 | Ansprache Georg Schmid

Begrüssung der Gäste
Begrüssung der Künstler*innen

x.art
Thomas Zahnd, Alchenstorf, Holzskulpturen
Markus Dominkovits, Bellach, Malerei und Objekte
Natascha Ortega, Selzach, Keramikplastiken
Joschi, Rüttenen, Eisenplastiken
Aschi Glanzmann, Solothurn, Malerei

Manchmal sieht man etwas hundertmal, tausendmal, bevor man es wirklich sieht.

Dieser Satz von Thomas Zahnd gilt für diese kreative „Handwerker-Gruppe“. Man müsste ihn aber noch erweitern: Hundertmal, tausendmal muss man es in die Hand nehmen, drehen, zusammenfügen, formen und übermalen, bevor man es wirklich sieht, mit den Händen sieht (Tastsinn) und damit auch zu verstehen beginnt– immer wieder, jahrelang, nicht ruhen, …

Sehen, allein mit den Augen genügt nicht

Auch wenn das Auge als wichtiges Sinnesorgan sich in der Evolutionsgeschichte mit dem Gehirn zusammen entwickelte (als Teil des Gehirns?)

Erlaubt mir einen kleinen Streifzug durch die Menschheitsgeschichte, um darzulegen, warum ich das sage und warum ich meine, dass sich die Arbeiten von x.art in diese Geschichte einordnen lassen, denn …

Wie war das vor 2.6 mio Jahren für die Gattung homo, damit sie überhaupt überleben konnte?

Beine (aufrechter Gang)- Hände frei – Sonne brennt nicht mehr auf den Rücken – übers Steppengras schauen – Bartgeier – Knochenbrecher und Aasfresser

leben (überleben) heisst allem um uns etwas abzuschauen

Fundort Äthiopien, Gona: 3000 Steinwerkzeuge aus Trachyt – Glattgeschliffene Steine – wie ein Ball in der Hand – aber eine scharfe Kante – mit Absicht bearbeitet – Hammersteine – am Boden gesessen – verbunden mit diesem Geröll – zum Zweck geschlagen (schneiden, schaben, …)

Das mögliche macht uns zu menschen
das nachahmen, das vorausahnen
um abzuleiten und zurückzuführen
das ist unsere art an welt zu rühren

Dieselben bewegungsabläufe wiederholt angewandt
Setzen etwas in gang das sich unter der hand
In ein artefakt verwandelt
Millionen jahre lang …
(Das führt zum BEGREIFEN)
Bis sich die übergebliebenen geröllkerne wie von selbst umgestalten
Zu einem faustkeil – gleichsam unbeabsichtigt – nebenbei –
So verwandelt der bedarf an scharfen kanten den stein zu einer axt …

Steinsplitter schneidet in die Hand – einsetzen in einen Ast – Schleuderstein – ein Objekt – ein grüner Stein – von weit her, härter – besser zu schlagen – schöner auch im Klang – (wählerisch, suchen tauschen)

Zufällig – und doch nicht absichtslos
Das beiläufig und nebenher entsteht
Im hämmern: durch schlag und stoss
Wir wiederholen das ewig gleiche in allem neuen
In einer art von geistigem wiederkäuen
Von 2,6 Mio Jahren bis 1’300 v. Chr. – Steinzeit!

Zur KUNST
Und dann ist da die Frage, wie das SCHÖNE in die Welt des NÜTZLICHEN kam

Farben und Linien, neu auch Formen – erfassen, was mit Händen zu greifen ist, das steht fest – Schemen (Schattenbilder/ Bilder in Wolken, …) das andere – wir erfassen, was wir wahrnehmen, indem wir assoziieren, vergleichen – Wasser blau, Himmel blau, Früchte rot, orange und gelb – Geräusch im hohen Gras ein … (Flucht)

Ihr wisst oder könnt erahnen, wie diese Geschichte weitergeht:

vor 500’000/400’000 Jahren

Hütten: Verspreizte Äste, innen mit Stämmen gestützt, aussen mit Fellen gedeckt – Feuer machen, Essen kochen – Faustkeile in Schäften, mit Lederriemen geschlungen – Zusammengesetzt werden verschiedenste Materialien – Geräte werden Kompositionen

Es ist der Beginn der KUNST, die aus sonst UNVERBUNDENEM etwas anderes GANZES schafft. Es ist ein Konzept, das uns neue Räume erschliesst.

So wie das die Künstler*innen von x.art machen, indem sie ihre Hände gebrauchen und ihre Erfahrungen, um neues zu schaffen – um neue „Verbindungen“ zu schaffen: Bekanntes als Neues, Abstraktionen zu Konkretem, …

Es sind Aussagen der Hände. Die Hände denken mit!

Wenn ich jetzt noch die Höhlenmalerei einbeziehen würde, hätten auch Aschi und Markus heute Abend hier eine Heimat. Aber …

In Südafrika hat man in der Blomboshöhle 100’000 Jahre alte Muschelschalen gefunden in denen man Ockerfarbe angerührt hatte und mit Rötel bemalte Seeschnecken, die man an einer Kette um den Hals getragen hatte.

Rötel- und Kohlezeichnungen bei Aschi

Ocker, das man als Gerbstoff, Medizin, Mücken-, Fliegen- und Läuseschutz, als Sonnenschutzmittel oder zur Tätowierung gebraucht hatte

Ocker in Barren, die auf einer Schmalseite mit Mustern verziert waren

Mit Linien eingerahmte Flächen, auf denen Reihen von X zu sehen waren.

Das ist x.art vor 100’000 Jahren!

Hier im NäijereHuus sehen sie x.art in der aktuellen Zusammensetzung!

Das Gemeinsame zur Geschichte und zur Gruppe: Der Drang sich selber ausdrücken – die Lust an der Bewegung – die Umwelt erfassen: Konturen und Farbflächen – Horizonte – kontrollierte Striche: senkrechte Ritzungen, Rahmen, Kreuze, darüber hinaus – Verbindungen schaffen: Wie Wolkenbilder zu Blitz und Donner und Klangfiguren …

Zuerst aber ist immer die Hand, mit ihrer direkten Verbindung zum Gehirn – die Hand, die hilft, es (das Bild, das Objekt, die Plastik, die Skulptur, …) selber zu erschaffen!

Thomas Zahnd mit Schwemmholz und andern witzigen Verbindungen
Markus Dominkovits mit Kaffeemalerei und Objekten
Natascha Ortega mit Schöpfungen aus Ton, surrealistisch
Joschi mit Eisenplastiken, „Neuschöpfungen“ aus „Alteisen“
Aschi mit Stadtzeichnungen und Malerei aus „dem Innern“

Mein Wegweiser für diese Worte: Erste Erde – Epos, Raul Schrott, Hanser 2016
20.11.2020 | Georg Schmid